Effektivere Hilfe für Kinder psychisch erkrankter Eltern

In einem Pilotprojekt, das von der Dietmar Hopp Stiftung gefördert wird, sollen Kinder psychisch erkrankter Eltern in der Rhein-Neckar-Region künftig effektiver unterstützt werden. Ausgehend von der am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim gegründeten Initiative „Stark im Sturm“ sollen in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Heidelberg und der Klinik für Suchttherapie und Entwöhnung des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden (PZN) in Wiesloch Kinderbeauftragte auf den Stationen der beteiligten Kliniken etabliert, die Vernetzung von Hilfseinrichtungen und Beratungsstellen intensiviert und so die Bereitschaft der Betroffenen, Hilfen anzunehmen, gestärkt werden.

In Deutschland leben schätzungsweise drei Millionen Kinder psychisch erkrankter Eltern und 2,6 Millionen Kinder mit einer suchterkrankten Mutter oder einem suchterkrankten Vater. Fällt mindestens ein Elternteil zeitweise oder ganz als wichtige Bezugsperson aus, sind damit erhebliche Belastungen für die Kinder verbunden, die deren weiteres Leben stark beeinträchtigen können. Kleinere Kinder erhalten weniger emotionale Wärme und Zuneigung als Gleichaltrige aus intakten Familien. Ältere Kinder haben Schuldgefühle und übernehmen oft ein Übermaß an Verantwortung, halten den Haushalt aufrecht und versorgen jüngere Geschwister. Die eigenen Bedürfnisse dieser Kinder müssen zurückstehen, ihr schulischer Erfolg leidet und der für die eigene Entwicklung wichtige Austausch mit Gleichaltrigen bleibt auf der Strecke. Daher wundert es nicht, dass Kinder psychisch erkrankter Eltern ein sehr hohes Risiko aufweisen, selbst eine psychische Erkrankung oder eine Suchterkrankung zu entwickeln.

Der Bedarf an verbesserten Versorgungsstrukturen und Netzwerken für betroffene Kinder ist sehr groß. Es gibt zwar mittlerweile Hilfsangebote, wie Einzel- oder Familienberatung, Kindergruppen oder Patenschaftsprogramme, die sich gezielt an Kinder psychisch oder suchterkrankter Eltern und deren Familien richten. Dennoch kommt die Hilfe häufig nicht an. Einerseits blockieren Schuldgefühle der Eltern und Scham über das eigene Unvermögen die nötige Unterstützung, andererseits scheitert passgenaue Hilfe dadurch, dass die verschiedenen Hilfssysteme nicht ausreichend vernetzt oder den Betroffenen nicht bekannt sind. Genau hier setzt das Projekt „Stark im Sturm“ an.

Mit Unterstützung der Dietmar Hopp Stiftung soll in der Rhein-Neckar-Region die Vernetzung der Hilfsangebote aufgebaut und sogenannte Kinderbeauftragte in psychiatrischen Kliniken etabliert werden. Auf diese Weise sollen Barrieren abgebaut werden, um betroffenen Kindern geeignete Hilfe zu ermöglichen und so die Lebensqualität und die soziale Teilhabe deutlich zu verbessern. Die Dietmar Hopp Stiftung fördert das Projekt mit 275.000 Euro. Start ist im Mai 2021.
„Kinder liegen unserem Stifter besonders am Herzen. Das Konzept der Kinderbeauftragten hat uns überzeugt. Wir hoffen, dass damit die Kinder gleich zu Beginn der Behandlung der Eltern die dringend nötige Aufmerksamkeit bekommen und so häufiger und schneller eine passende Unterstützung erhalten können.“ erläutert Dr. Jennifer Fischer, Referentin für den Bereich Medizin der Dietmar Hopp Stiftung.

Die Vorlage für das Förderprojekt liefert die am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit gegründete Initiative „Stark im Sturm“, durch die ein Netzwerk von fast 40 ZI-Mitarbeitenden aus Pflege und Sozialdienst geschaffen werden konnte. Die professionellen Helfer übernehmen die Rolle der Kinderbeauftragten, setzen sich für das Wohl der Kinder ein und fördern deren Resilienz. Sie suchen das Gespräch mit den erkrankten Eltern. Dabei können sie den Blick der Eltern für Überforderungssituationen schärfen und sie dazu ermutigen, Hilfsangebote für ihre Kinder anzunehmen. Die Kinderbeauftragten helfen den Kindern, die Situation der Eltern zu verstehen und damit umzugehen sowie die Folgen für ihr eigenes Leben abzuwenden. Auf diese Weise wird die Grundlage für ein besseres Familienleben gelegt.

Die Mitarbeitenden in psychiatrischen Kliniken einzubeziehen, ist ein wichtiger Teil des Projekts und bislang in Deutschland wenig verbreitet. „Wir wollen dazu ermutigen, offen über die elterliche Erkrankung zu sprechen und so Hemmnisse und Ängste abbauen, damit effektive Hilfen auch wirklich in Anspruch genommen werden“, sagt Dr. Yvonne Grimmer, Oberärztin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am ZI. Zusammen mit Dr. Anne Koopmann, Oberärztin an der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am ZI, hat sie die Initiative „Stark im Sturm“ aufgebaut. „Angehörige von psychisch Erkrankten erhalten durch Kooperationen zwischen den Ambulanzen nun schneller einen Termin in der entsprechenden Fachambulanz der anderen Klinik. Das ist nur ein Beispiel für den Abbau von Barrieren, die wir vorantreiben wollen“, sagt Koopmann.
Das geförderte Projekt wird wissenschaftlich durch die Abteilung Public Mental Health am ZI begleitet. So sollen Erfolgsfaktoren und mögliche Hindernisse des Kinderbeauftragten-Systems analysiert werden.