Inklusion leben: Bundesweit erstes Modellprojekt in St. Leon-Rot offiziell eingeweiht

In Deutschlands bislang einziger Inklusions-WG mit Petö-Förderansatz haben sich die ersten Bewohnerinnen und Bewohner bereits eingelebt. Ende September fand die offizielle Schlüsselübergabe statt. Die Dietmar Hopp Stiftung unterstützt das Modellprojekt mit 1,25 Millionen Euro.

Susanne Huber, erste Vorsitzende des Vereins FortSchritt IntegrativLeben, die gemeinsam mit Maris Metz, Bewohner der ersten Stunde und Mitglied im Projektteam, durch die offizielle Einweihungsfeier führte, dankte den insgesamt 25 Förderpartnern für ihr Vertrauen: „Mit FortSchritt können wir Inklusion auf lokaler und überregionaler Ebene jetzt wortwörtlich mit noch mehr Leben füllen!“

Da es für junge Erwachsene mit Bewegungseinschränkungen nur wenige Angebote auf dem freien Markt gibt, hat der gemeinnützige Verein FortSchritt IntegrativLeben das Konzept für die Modell-WG entwickelt. Sie bietet Platz für acht behinderte und nicht behinderte Menschen ab 18 Jahren, die dort gleichberechtigt miteinander leben. Um die individuelle körperliche und persönliche Weiterentwicklung – speziell der Rollstuhlfahrer – gezielt zu fördern, steht den Bewohnerinnen und Bewohnern in der WG eine besonders qualifizierte Petö-Konduktorin zur Verfügung. Sie unterstützt die Rollifahrer, indem zum Beispiel lebenspraktische Fertigkeiten trainiert werden.

Bei der Petö-Therapie werden in die Behandlung zerebraler Bewegungsstörungen Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie und Krankengymnastik zusammen in einem ganzheitlichen Ansatz integriert. Bei Petö wird der Mensch individuell in seinem Bewegungsdrang unterstützt mit dem Ziel, eine weitgehende Unabhängigkeit von Hilfsmitteln und Hilfspersonen im Alltag zu erreichen. Der Schwesterverein Fortschritt St. Leon-Rot setzt sich seit rund 20 Jahren für die Hilfe zur Selbsthilfe betroffener Kinder und Jugendlicher im Alter ab zwei Jahren ein und hat hierfür in St. Leon-Rot ein Förderzentrum geschaffen. Um den so geförderten jungen Erwachsenen eine Perspektive für ein selbstständiges Leben zu geben, hat die Initiative die Idee einer integrativen Wohnmöglichkeit entwickelt. Passend zum inklusiven Ansatz wurde das Konzept für die Modell-WG von einem Projektteam geplant, das sich auch um die Beantragung und Sicherstellung der persönlichen Budgets für Bewohnerinnen und Bewohner mit einer Behinderung gekümmert hat.

Mit dem zentral gelegenen Neubau setzt FortSchritt nicht nur konzeptionell, sondern auch in baulicher Hinsicht neue Standards. Das zweigeschossige Gebäude verfügt über rund 700 m² und ist komplett barrierefrei. Auf die besonderen Herausforderungen des Baus gingen bei der offiziellen Einweihung Architekt Martin Vorfelder und Generalunternehmer Michael Schindler ein. Dazu gehören unter anderem höhenverstellbare, unterfahrbare Möbel in der Küche, besonders breite Türen und Gänge sowie eine Notrufanlage und die Möglichkeit, zum Beispiel Jalousien digital über eine Handy-App zu steuern.

Die Kosten für das Modellprojekt, das auf eine breite gesellschaftliche Verankerung vor Ort setzt, liegen inklusive Grundstück, Bau und behindertengerechter Einrichtung bei rund 2,5 Millionen Euro, die überwiegend durch Spenden finanziert wurden. Die Unterstützung der Dietmar Hopp Stiftung begründete Meike Leupold, stellvertretende Stiftungsleitung: „Inklusion tatsächlich mitten in der Gesellschaft zu verankern, fordert den Mut und die große Einsatzbereitschaft, mit gutem Beispiel voranzugehen. Um jungen Erwachsenen im Rollstuhl ein möglichst selbstständiges Leben zu ermöglichen, haben wir den Verein FortSchritt IntegrativLeben gern in diesem Herzensprojekt unterstützt. Wir hoffen, dass die hohe Eigeninitiative Nachahmer findet und das Modell zur Angebotsvielfalt inklusiver Wohnformen beiträgt.“

Dass die Modell-WG von FortSchritt als ein wichtiger Impulsgeber für Inklusion auch vielfältige Chancen für ein selbstverständliches Miteinander auf Augenhöhe mit sich bringt, unterstrich Stefan Dallinger, Landrat des Rhein-Neckar-Kreises und Vorsitzender des Verbandes Region Rhein-Neckar: „Für junge Erwachsene, die im Rollstuhl sitzen, ist es heutzutage leider keine Selbstverständlichkeit, dass sie gemeinsam mit Gleichaltrigen ohne eine körperliche Beeinträchtigung möglichst selbstbestimmt zusammenleben.“

St. Leon-Rots Bürgermeister Dr. Alexander Eger ergänzte: „Wenn alle Menschen in unserer Gemeinde einfach dabei sein können, dann ist es normal, verschieden zu sein. So verstanden, ist Teilhabe eine Chance, von der wir alle gemeinschaftlich profitieren. Deswegen ist es wichtig, dass wir – auch mit Unterstützung von FortSchritt – Raum für Begegnung schaffen und Barrieren in allen Lebensbereichen abbauen!“

Corona bedingt hat sich die Auswahl der Mieter etwas verzögert, derzeit sind noch zwei Plätze für Mitbewohnerinnen und -bewohner ohne Bewegungseinschränkungen frei. Alle Informationen zur inklusiven WG und dem Verein FortSchritt IntegrativLeben unter www.fortschritt-il.de.