Rund 2.500 Kinder unter fünf Jahren erkranken jährlich in Deutschland an Epilepsie. Einem Drittel dieser Kinder kann derzeit mit Medikamenten nicht ausreichend geholfen werden. Einige dieser entwickeln außerdem weitere neurologische Störungen wie eine geistige Behinderung oder Autismus. Eine Arbeitsgruppe um Professor Dr. Steffen Syrbe hat am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) genetische Ursachen angeborener Epilepsien als Basis für künftige Therapieforschung und -entwicklung untersucht.
„Wir kennen Kinder mit schweren genetischen Epilepsien, die mehrere Hundert epileptische Anfälle am Tag erleiden. Das beeinträchtigt die Lebensqualität der Kinder massiv und macht eine gesunde Entwicklung unmöglich. Zudem ist es eine schwere Belastung für die ganze Familie“, macht Professor Syrbe, Leiter der Sektion für Pädiatrische Epileptologie an der Klinik für Allgemeine Pädiatrie, Neuropädiatrie, Stoffwechsel, Gastroenterologie und Nephrologie des UKHD, die Dringlichkeit neuer Therapieansätze deutlich, die an den oft genetischen Ursachen ansetzen.
Im Rahmen des Projekts „Identifizierung und Klassifizierung molekulargenetischer Veränderungen bei Kindern mit therapieschweren, strukturellen und genetischen Epilepsien“ wurden in einem Zeitraum von vier Jahren eine Sektion mit Professur für pädiatrische Epileptologie sowie ein grundwissenschaftliches Labor eingerichtet, Patientenregister zu genetischen Ursachen angeborener Epilepsie-Syndrome aufgebaut und mehrere Studien durchgeführt. Die Dietmar Hopp Stiftung hat das Projekt, das auch 32 Publikationen in namhaften Fachzeitschriften hervorgebracht hat, mit einer Spende in Höhe von 310.000 Euro gefördert.
„Das Grundlagenwissen um die genetischen Ursachen angeborener Epilepsien ist essentiell für die Durchführung von Therapiestudien bei diesen seltenen Erkrankungen. Nur wenn wir den Defekt kennen, können wir an zielgerichteten Therapien forschen. Bisher lassen sich nur die Symptome mehr oder weniger gut behandeln“, sagt Professor Syrbe. Im Rahmen des Projektes untersuchte er mehrere Gene, die schon als Verursacher der Epilepsien bekannt waren und neue Kandidaten, bei denen eine Beteiligung vermutet oder neu beschrieben wurde. Dazu sammelte das Team Daten von Patienten mit gleichen Epilepsieformen und nahm genetische Abgleiche vor. Auf dieser Basis charakterisierten die Heidelberger Wissenschaftler die Funktion von zahlreichen Genen, deren Veränderungen zu jeweils vergleichbaren Entwicklungsstörungen und überlappenden Krankheitsbildern führen.
Das Wissen um die Genetik ist ein maßgeblicher, aber nur ein erster Schritt, um die Fehlsteuerung im Gehirn zu verstehen. Daher entwickelte und züchtete die Arbeitsgruppe zum Beispiel auch so genannte Hirn-Organoide, Miniorgane aus menschlichen Zellen, um daran künftig Epilepsieformern erforschen und geeignete Wirkstoffkandidaten testen zu können. Darüber hinaus nahm das Team genetische Analysen an Hirngewebe von mehr als 70 Patientinnen und Patienten vor und konnte nachweisen, dass die ursächliche Genveränderung nicht von Anfang an in den Keimzellen vorhanden war, sondern erst später während der Embryonalentwicklung auftrat und somit nur bestimmte Zellen im Gehirn betrifft. Einige Patientinnen und Patienten konnten aufgrund der Ergebnisse in Studien zu zielgerichteten Therapien eingeschlossen werden. Eine eigene Therapiestudie für Kinder mit angeborenen Veränderungen in so genannten Onkogenen, die das Risiko für Krebserkrankungen erhöhen und zunehmend mit schweren Epilepsien in Verbindung gebracht werden, ist in Vorbereitung.
„Insgesamt hat unsere Arbeit im Rahmen der Unterstützung durch die Dietmar Hopp Stiftung und der daraus resultierenden Studien das Wissen um angeborene schwere Epilepsien enorm erweitert und Wege für zukünftige passgenaue Therapien aufgezeigt“, fasst Neuropädiater Professor Syrbe zusammen.