„Auf der Wippe kann man sich so richtig auspowern!“

Küche oder Garten – die Entscheidung fällt Michael nicht schwer: Auch wenn das Essen rechtzeitig vor der Fußballübertragung im Fernsehen auf dem Tisch stehen soll, verbringt er bei schönem Frühlingswetter lieber etwas Zeit in dem vielseitigen Außengelände seines noch recht neuen Domizils. „Schaukeln kann ich richtig gut“, erklärt er - und dass man sich auf der Pfeifen-Wippe „so richtig auspowern“ und dabei Musik erzeugen kann.

Michael ist einer von 24 Menschen mit Behinderung, die seit 2021 im neuen Wohnhaus am Harthäuserweg der Lebenshilfe Neustadt/Weinstraße wohnen. Sie leben dort in vier familiären Wohngemeinschaften, aufgeteilt in zwei Achter-WGs und zwei Vierer-WGs. In dem dreigeschossigen Gebäude verfügt jeder Bewohner über ein Einzelzimmer mit eigenem Bad und teilt sich mit den Mitbewohnerinnen und -bewohnern einen großzügigen Wohn-Ess-Bereich. Die Dietmar Hopp Stiftung hat das Außengelände der Einrichtung mit seinen Bewegungsmöglichkeiten, Ruhebereichen und Pflanzen, das nicht nur Michael so gerne nutzt, mit 200.000 Euro gefördert. „Die Lebenshilfe Neustadt leistet mit diesem Wohnangebot einen wichtigen Beitrag zur Selbstständigkeit, Selbstbestimmtheit und Teilhabe. Deshalb haben wir gern dazu beigetragen, dass im Außenbereich die Natur mit allen Sinnen bewusst erlebt werden kann und zugleich dem Bewegungswunsch der Bewohner in einem geschützten Umfeld Rechnung getragen wird“, sagt Meike Leupold, stellvertretende Stiftungsleitung.

Die Bewohnerinnen und Bewohner am Harthäuser Weg leben entsprechend ihren individuellen Fähigkeiten so selbstständig und selbstbestimmt wie möglich. „Wir verstehen uns als Assistenten der Bewohner. Wir unterstützen, wo es nötig ist, und fördern ihre vorhandenen Fähigkeiten“, beschreibt Herbert Rusche, stellvertretende Wohnhausleiter und Betreuer einer der Wohngruppen, wie er und seine Kollegen arbeiten. Die Bewohnerinnen und Bewohner seien seit ihrem Einzug regelrecht aufgeblüht, auch ihre motorischen Fähigkeiten hätten sich weiterentwickelt, so dass sie einen großen Drang verspürten, sich zu bewegen. „Dafür ist der Außenbereich mit den verschiedenen Bewegungsangeboten super geeignet “, so Rusche. Schaukel, Stepper, Pfeifen-Wippe und Co. machen aber nicht nur Spaß, sondern können auch Stress regulieren und fördern Beweglichkeit, Kraft und Gleichgewicht. Raphael zum Beispiel hat eine Weile geübt, um so gut zu werden, beherrscht den Outdoor-Crosstrainer nun aber wie ein Profi. Die Beeinträchtigungen der Bewohnerinnen und Bewohner sind vielfältig: Menschen mit Autismus-Spektrums-Störung, Menschen mit einer geistigen und/oder schwerstmehrfachen Behinderung und Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Für Letztere gibt es im barrierefreien Außenbereich sogar eine Rollstuhl-Schaukel.

„Neben den Bewegungsmöglichkeiten war uns auch wichtig, im Garten Orte zu schaffen, an die sich Bewohner, denen der Trubel in der WG vielleicht mal zu viel wird, zurückziehen können“, ergänzt Einrichtungsleiter Felix Jähnichen. Außerdem habe man gerade den Barfußpfad für diese Saison eingeweiht, der Motorik und Sinne auf andere Weise anregt. Wenn nicht gerade ein spannendes Fußballspiel im Fernsehen läuft oder ein Stadion-Besuch ansteht, spielen Michael und seine Mitbewohner auch gern Fußball im Garten: „Wir haben das Areal so geplant, dass sich alle Bewohner weitestehend ohne Begleitung bewegen und beschäftigen können. Jeder nutzt die Fläche nach seinen individuellen Interessen und Fähigkeiten“, betont Jähnichen. Das Außengelände ist auch ein Ort, an dem neue Möglichkeiten und Fähigkeiten entdeckt und entwickelt werden können, etwa bei der Gartenarbeit. „Hierfür haben wir zum Beispiel ein Hochbeet angelegt“, erklärt der Einrichtungsleiter.

Insgesamt soll der Garten alle fünf Sinne ansprechen: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten sollen aktiviert und gefördert werden. Verschiedene Klangelemente wie Summ-Stein und Pfeifen-Wippe lassen nicht nur die Ohren aufhorchen, hier lassen sich Töne auch fühlen. Das Rascheln der Blätter im Baum, das Summen der Bienen, Vogelgezwitscher, das intensive Aroma eines zerriebenen Basilikum-Blättchens: Ein Sinnesgarten bietet ein großes Maß an positiven Reizen und erzeugt Ruhe und Entspannung. „Er vereint pädagogische Angebote und Alltagsglück“, hebt Herbert Rusche hervor.

Dabei ist der Garten nur eine von vielen Freizeitmöglichkeiten der Bewohner, die alltags überwiegend in einer Werkstatt oder Tagesförderstätte tätig sind. „Nach der Arbeit sollen sie einfach zu Hause ankommen, sich entspannen und wohlfühlen“, unterstreicht Jähnichen. Das kann im Garten, vor dem Fernseher, bei einem Spaziergag oder beim gemeinsamen Kochen sein. Aber auch sportliche Angebote wie ein Lauftreff oder eine Tanzgruppe stehen zur Auswahl. Und unter dem Titel „Night Fever“ erfreuen sich abends und am Wochenende zum Beispiel Bowling, Sushi-Essen oder Minigolf großer Beliebtheit. Und alle freuen sich schon auf das erste Grillfest im Garten!

Stand: Juni 2022