Manege frei im Zirkus Paletti

„Ohne den Zirkus Paletti wäre ich heute nicht, was ich bin.“ – Da ist sich Alexandra Haas sicher. Mit zehn Jahren als Zirkuskind gestartet, hat sie mittlerweile ihr Hobby zum Beruf gemacht. Im Mannheimer Kinder- und Jugendzirkus Paletti arbeitet sie hauptamtlich als Trainerin, ist zuständig für Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung und Internationales, organisiert Workshops, hält Kontakt zu Kindern und Eltern.

„Ursprünglich wollte ich eine Ausbildung im Hotel machen, aber ich glaube nicht, dass ich in dem Beruf so glücklich geworden wäre wie hier“, betont sie. „Der Zirkus hat mir eine völlig neue Welt eröffnet. Ich konnte mir früher nicht vorstellen, mit Kindern zu arbeiten.“ Aber als Zirkuschef Tilo Bender sie mit dreizehn Jahren fragte, ob sie Interesse hätte, selbst Trainerin zu werden und sie nach und nach mehr Verantwortung im Verein übernahm, habe sie ihren Weg gefunden: Einem Freiwilligendienst in einem Kinderzirkus in Berlin folgte ein Studium der Kultur- und Medienbildung. Und als der Kinder- und Jugendzirkus in Mannheim 2016 sein eigenes Trainingszentrum mit Halle und dem großen bunten Zelt bezog, nahm sie das Angebot, dort zu arbeiten, gern an.

Aber nicht nur beruflich hat der Zirkus ihr Leben beeinflusst: „Im Zirkus lernt man zum Beispiel, jeden Menschen so zu akzeptieren, wie er ist und in jedem etwas Positives zu sehen.“

Rund 500 Kinder sind in dem Verein mit insgesamt 1.500 Mitgliedern aktiv, vom Kleinkind bis zum jungen Erwachsenen, mit unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen und sozialen Hintergründen. Seit einiger Zeit gibt es außerdem Angebote für und mit Menschen mit Beeinträchtigungen. Und alle lernen neben Jonglage, Akrobatik und Schauspiel viel fürs Leben: „Die Kinder merken: Wenn sie fleißig sind und üben, werden sie mit Erfolgserlebnissen belohnt“, erklärt Tilo Bender, Geschäftsführer des Kinder- und Jugendzirkus Paletti e.V. „Die Aussicht auf einen Auftritt vor Zuschauern im großen Zelt motiviert sie, immer wieder aufzustehen, eine Übung oder einen Trick immer wieder zu trainieren. Und Glücksmomente und Erfolgserlebnisse sorgen wiederum für neue Motivation“, erklärt Bender, der als passionierter Jongleur weiß, wovon er spricht. „Die Kinder lernen Disziplin, Respekt und Vertrauen – aber über allem steht der Spaß“, sagt der gelernte Jurist und Zirkuspädagoge.

Und den Spaß sieht man den Kindern an, die in der großen Trainingshalle auf dem Einrad, am chinesischen Mast, dem Trapez oder dem Vertikaltuch trainieren oder sich in Jonglage oder mit dem Diabolo versuchen. Auch Schauspiel und Clownerie spielen in den Übungseinheiten eine Rolle.

„Wir wollen Kindern das Bestmögliche mitgeben für ihr Leben“, sagt Tilo Bender. – Und das versuchen er und sein Team mit zahlreichen und vielfältigen Angeboten, die vom Training in Zirkuskursen über Ensemblegruppen bis zu Eltern-Kind-Kursen reichen. „Wir sind wie eine große Familie. Auch Eltern und Ehemalige engagieren sich ehrenamtlich, helfen zum Beispiel bei unseren großen Shows hinter den Kulissen mit“, freut sich Bender.

Darüber hinaus wird soziales Engagement groß geschrieben bei den engagierten Zirkus-Leuten, denen nie die Ideen ausgehen: Unter dem Titel Zirklusiv etwa ist ein inklusionsorientiertes Zirkusangebot entstanden, in dem Kinder und Jugendliche mit verschiedenen sozialen und kulturellen Hintergründen und mit unterschiedlichen mentalen und/oder körperlichen Beeinträchtigungen und Fähigkeiten zusammenkommen. „Kinder mit Behinderungen machen plötzlich Dinge, die ihnen nie jemand zugetraut hätte, auch sie selbst nicht“, schwärmt Tilo Bender von tollen Erlebnissen für die Kinder selbst, aber auch für Trainer und Eltern. Der Zirkus Aufwindikus ist ein weiteres der vielen Beispiele dafür, was der Zirkus Paletti für körperliche und soziale Bildung leistet: Hier können Kinder, die von Armut betroffen sind und zum Teil schwierige Familienverhältnisse erleben, den belastenden Alltag für eine Weile vergessen, sich austoben und Spaß mit Gleichaltrigen haben. Die Zirkus-Erfahrungen wirken sich darüber hinaus auf ihren Alltag aus: Die Kinder entwickeln ihre emotionalen und motorischen Fähigkeiten und stärken ihr Selbstbewusstsein.

Die positiven Aspekte des Zirkustrainings erfahren Kinder schon in kurzer Zeit, zum Beispiel während eines Workshops in der Schule: „Schon in einer Projektwoche lernen Kinder Sozialkompetenz. Und wenn man das Leuchten in ihren Augen sieht, hat sich die Arbeit gelohnt“, unterstreicht Tilo Bender.

Mit leuchtenden Augen berichten auch Paul und Alma über den Zirkus Paletti: Der 14jährige Paul macht bereits seit über fünf Jahren mit, mittlerweile ist er sogar schon selbst Jugendtrainer für die Minis. Besonders positiv findet er, dass er im Zirkus auch Freunde gefunden hat, mit denen er nicht nur trainiert, sondern auch viel Spaß hat. „Man ist immer froh, wenn man im Zirkus ist“, schwärmt auch die 13jährige Alma. Ihr gefällt es, zu lernen, wie man Shows aufbaut und dabei auch Schauspielelemente übt. Und der Applaus bei den Aufführungen sei dann ein total „cooles Gefühl“.

An ihren ersten Auftritt erinnert sich auch Alexandra Haas noch gut: „Das war auf einer ganz kleinen Bühne und ich war eine Ägypterin. Ich erinnere mich noch gut an das Gefühl, wichtiger Teil des Ganzen zu sein und daran, wie stolz wir auf das waren, was wir da auf die Bühne gebracht haben.“

Die Zeit der kleinen Bühnen und wechselnden Trainingshallen ist mittlerweile vorbei bei dem Kinder- und Jugendzirkus, der 2022 bereits seinen 25. Geburtstag feiert: 2016 konnte – auch mithilfe einer Spende der Dietmar Hopp Stiftung in Höhe von 400.000 Euro – das heutige Trainingszentrum in Betrieb genommen werden. Im größten Zentrum für Kinder- und Jugendzirkus in Deutschland stehen über 1.000 m² Trainingsfläche zur Verfügung. Aber noch wichtiger: Auf dem Gelände entstand ein über 500 Zuschauer fassendes Zirkuszelt, das mittlerweile auch dank der Unterstützung der Dietmar Hopp Stiftung in Höhe von 117.000 Euro zu einem festen Gebäude wurde. „Damit hatten wir erstmals ein echtes Zirkusrund zur Verfügung“, erinnert sich Tilo Bender. Und Alexandra Haas weiß noch: „Als ich das erste Mal in der Manege mit dem Sternenhimmel stand, dachte ich ‚Wow, jetzt sind wir wirklich Zirkus‘.“

Stand: April 2022